Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ – Eine Shakespearsche Adaption?

Gottfried Keller selbst hat einmal in Antwort auf eine kritische Rezension etwa sinngemäß geschrieben, dass er den Titel seiner Novelle „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ gewählt habe, weil so die Parallele zu Shakespeare „Romeo und Julia“ deutlich wird und niemand auf die Idee kommen könne, Keller wolle dem berühmten Stück des englischen Dramatiker bloß nacheifern.

Beim Lesen des Werkes begleitete mich diese Frage und ich bin abschließend zu meinem persönlichen Eindruck gekommen, dass Kellers Stück sicherlich keine Kopie mit anderen Figuren ist.
Im Folgenden will ich dazu ein paar Gedanken aufwerfen, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit bzw. Richtigkeit erheben. Natürlich handelt es sich nur um meine eigenen Ideen.

Allgemein

“Romeo und Julia auf dem Dorfe” von Gottfried Keller wurde als Teil des Novellenzyklus “Die Leute von Seldwyla” (zu dem auch das berühmte Kleider machen Leute gehört) 1875 erstmals komplett veröffentlicht. Meine Ausgabe entstammt der Reihe Suhrkamp BasisBibliothek aus dem Jahr 2009.

Inhalt

Wovon Romeo und Julia handelt, weiß heutzutage wohl jeder, denn kein anderes Stück ist so bekannt wie dieses. Romeo und Julia, den verfeindeten Häusern Montague und Capulet entstammend, verlieben sich ineinander, obwohl ihre Familienfehde eine Beziehung der beiden unmöglich macht. Der Versuch, die Familien auszutricksen, scheitert tragisch, sodass Romeo und Julia nacheinander Selbstmord begehen.

Worum geht es in Kellers Werk? Hauptpersonen dieses Mal sind Salomon, kurz Sali genannt, und Vrenchen, die beiden einzigen Kinder der Bauern Marti und Manz. Diese Bauern besitzen jeweils einen Acker, das nur von einem herrenlosen, verwilderten Ackerstück getrennt wird. Über dieses Stück kommt es zum Streit und der einstmals gute Umgang weicht einer erbitterten Feindschaft, an der beide Bauernfamilien zugrunde gehen. Besonders Sali und Vrenchen leiden darunter, da sie den jeweils anderen guten Freund nicht mehr sehen dürfen. An einem Fluss kommt es zu einer Prügelei zwischen den inzwischen verarmten Bauern, bei der die Jugendlichen einschreiten müssen und sich ineinander verlieben. Sie treffen sich heimlich, werden von Vrenchens Vater entdeckt, wobei dieser von Sali derartig niedergerungen wird, dass der Vater fortan geistig gestört ist. Dennoch möchten sie ohne den anderen nicht mehr leben. Gemeinsam verbringen sie die Zeit miteinander und besuchen ein Fest, bei denen sie erkennen, dass es keine Zukunft für sie geben wird. Schließlich verbringen sie eine Art „Hochzeitsnacht“ miteinander und ertränken sich dann im Fluss.

Verbindungen zu Shakespeare

So viel zum Inhalt. Meiner Meinung nach gibt es in Kellers Werk – neben den klar ersichtlichen Anspielungen mittels Zitaten – hauptsächlich drei Parallelen zu Shakespeares Stück: Die Familienfehde, das Liebespaar sowie deren freiwilliger Tod.

Neben den offensichtlichen Unterschieden, wie der Beschränkung auf wenige Personen sowie der anderen Textart, sind es vor allem inhaltliche Gründe, die aus Romeo und Julia aus dem Dorfe ein eigenständiges Werk machen.

Shakespeares Charakteren ist ein gemeinsames Leben de facto tatsächlich nicht möglich. Ihre heimlichen Treffen sind von der ständigen Angst geprägt, entdeckt zu werden. Der Tod ist nicht ihr eigentlicher Ausweg, vielmehr nimmt Julia ein Scheingift, sodass sie äußerlich für einige Zeit wie tot wirken soll. Romeo wird jedoch zu spät über diesen Einfall unterrichtet und nimmt sich an ihrem schlafenden Körper das Leben. Als Julia erwacht und ihn sieht, hat auch sie keinen Grund mehr zu leben und folgt ihm.

Dagegen scheinen Kellers Personen ein scheinbar leichtes Leben zu führen. Salis Eltern, die nach dem Bankrott ihr Feld aufgeben mussten, ein Wirtshaus betreiben und illegalen Aktivitäten nachgehen, sind nicht sonderlich präsent und interessieren sich offenkundig nicht dafür, wenn ihr Sohn nächtelang ausbleibt. Vrenchens Vater erwischt die beiden zwar, wird von Sali jedoch in die geistige Umnachtung geschickt, weswegen er in einer Irrenanstalt landet.

Eigentlich wäre für das verliebte Paar der Weg zu einem neuen, gemeinsamen Leben frei gewesen, denn im Gegensatz zu Romeo und Julia ist niemand mehr da, der sie von ihrem Glück abhält. Trotzdem entscheiden sie sich für den Freitod, weil sie ihre Vergangenheit nicht vergessen können und gleichzeitig einander nicht verlieren wollen.

(Anmerkung: Ob ich ursprünglich vorgehabt habe, den Text an dieser Stelle weiterzuführen, weiß ich nicht mehr. Ich habe ihn zufällig unter meinen Dokumenten entdeckt und wollte ihn so wie er ist hier veröffentlichen.)

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