Ein Besuch an alter Wirkungsstätte

Einmal im Jahr findet an meiner ehemaligen Schule der Tag der offenen Tür statt, an dem sich Eltern erkundigen können, ob diese für ihre Kinder als weiterführende Schule in Frage kommt. Dieses Jahr hat es aber auch mindestens eine ehemalige Schülerin hingezogen.
Viele, die ich kenne, haben das Kapitel ‘Schule’ längst hinter sich gelassen, aber mich hat es noch einmal dort hin verschlagen – wenn auch hauptsächlich wegen der ein, zwei Lehrer, die mich noch kennen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich die Schule nach dem Abi wieder betrete, aber zumindest das erste Mal seit geraumer Zeit. Schon auf der Hinfahrt fallen mir die Veränderungen in der Stadt auf. Dort, wo früher Wiesen erblühten, wurden inzwischen Wohnblöcke gebaut. Auf dem kurzen Fußweg zur Schule kommt mir alles beengt vor. Das eingezäunte Schulgelände, die engen Straßen, die kurzen Wege innerhalb des Geländes – dabei ist die Schule an sich ziemlich groß. Aber längst ist mein Horizont größer geworden; ich habe wirklich große Städte gesehen, werde beinahe tagtäglich mit dem Stadtleben konfrontiert und nenne die Uni Mainz meine neue geistige Heimat.

Ein erster Blick auf das Schulgelände. Hier bin ich wieder. Zumindest für die nächste Stunde.

Ich gehe durch die Aula des Hauptgebäudes, schaue zu dem Musikraum in der rechten Ecke und denke, während dort die Lehrer in ihre Arbeit vertieft sind, an den besten Musikunterricht, den ich je hatte. Mein Blick schweift weiter, wandert über den Kunst-Trakt, der noch immer so riecht wie vor zehn Jahren, und bleibt an einer beheizten Bank hängen, wo ich meine Freunde von damals sitzen sehe, die von ihren Kursarbeiten erzählen, Essen teilen und noch schnell für den nächsten Test lernen. Wenige Schritte entfernt läuft der Vertretungsplan in gewohnter Weise auf und ab.

Bei meinen bisherigen Besuchen bin ich immer in den Bio- bzw. Physik-Trakt gelaufen, aber heute zieht mich nichts dort hin. Stattdessen verschlägt es mich in den ersten Stock, wo sich die meisten Leute aufhalten. Ich besuche eine meiner alten Lehrerinnen, die herzlich Anteil nimmt an meinem Werdegang, schmunzele über manche Eltern („Machen Sie denn auch Klassenfahrten? Und auch Ausflüge?“) und wandere ein wenig ziellos umher. Kurz verschlägt es mich ins Nebengebäude, verlasse es jedoch bald wieder. Ich verbinde mit ihm nicht viel Prägendes, auch zieht es mich nicht in die Ausstellungsräume hinein. Nur an den Tischen in der untersten Etage halte ich kurz inne und sehe mich mit Freunden und Klassenkameraden dort sitzen. Auf einer der Säulen hat ein ehemaliger Freund mal das Reddit-Männchen gemalt. Eine letzte Replik lang vergangener Zeiten. Inzwischen fristet es ein ziemlich tristes Dasein.

Irgendwann betrete ich auch das dritte Gebäude, denke wieder an den Musikunterricht zurück, der ebenfalls in diesem Gebäude stattfand, betrachte die Wandgemälde, mit denen ich nichts mehr anfangen kann, und fühle mich wie eh und je beklommen in den engen Gängen dieses Gebäudes.

Bald darauf gehe ich auf den Schulhof, der abgesehen von den neuen Sitzgelegenheiten noch so aussieht wie früher. Draußen ist deutlich weniger los. Kinder tollen herum, manche spielen Fußball, andere laufen mit ihren Eltern umher. Neben mir erhebt sich die neue Turnhalle, die erst nach meiner Schulzeit errichtet wurde. Einst stand dort eine alte Tennishalle, in der erst eine Cafeteria und später ein sehr schöner Aufenthaltsraum untergebracht waren. Nichts davon ist geblieben.

In einem der Räume sehe ich meine ehemalige Bio-Lehrerin. Emsig läuft sie zwischen Familien hin und her, die verschiedene Experimente begutachten.

Irgendwann treibt es mich wieder ins Hauptgebäude, den Altbau, den ich so liebgewonnen habe in meiner Schulzeit mit seinen offenen Bauweise, der verwinkelten Struktur und der von der roten Farbe geprägten Gestaltung, die sich von den Betonwänden abhebt. Manchmal, wenn ich in der Uni in der Zentralmensa sitze, denke ich an dieses Gebäude zurück, denn sie sieht von ihnen fast genauso aus. Mit jeder Ecke des Altbaus verbinde ich etwas, zu jedem Raum könnte ich eine eigene Geschichte erzählen.

In den Gängen des zweiten Stocks verweile ich kurz. Der ganze Trubel verlagert sich auf die unteren Etagen, von wo der Lärm nur gedämpft nach oben drängt. Durch die großen Fenster schaue ich in die beleuchteten Nebengebäude, in denen sich zahllose Eltern, Lehrer und Schüler aufhalten. Bei meinem Weg nach unten bleibe ich kurz an unserer Abi-“Gedenkbild“ stehen, das definitiv zu den schönsten seiner Art gehört. Wenigstens etwas haben wir hinbekommen. Fröhlich lächeln mich die Leute auf den Fotos an, die diese Zeit geprägt haben und nun in alle Himmelsrichtungen verteilt sind.
Schließlich mache ich mich auf den Weg nach Hause, wieder durch die Aula, vorbei an Ausstellungen, Schülern, Kindern.
Die Schule ist wirklich ein unbeständiger Ort. Lehrer kommen und gehen, Schüler werden erwachsen, neue rücken nach. Natürlich ist es so auch mit der Uni, mit anderen Orten, wo Menschen zusammenkommen. Solange man selbst Teil davon ist, bekommt man nicht viel davon mit. Aber als außenstehender Beobachter bemerkt man jede Veränderung, wie unerheblich sie auch sein mag.
Es beginnt zu regnen. Ich bin nicht wehmütig, schon lange nicht mehr. Ab Montag ist die Uni wieder mein Zuhause. Mit vielen Orten und Menschen, die ich genauso zu schätzen weiß. Ein letzter Blick zurück, bevor ich mit der anbrechenden Dunkelheit verschwinde.

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