Als einmal eine Vorlesung eskalierte

Es war der 23. Januar 2017, ein gewöhnlicher Montag gegen Ende des Wintersemesters.. Wie jeden Montag zu dieser Zeit war ich bereits seit sechs Uhr morgens auf den Beinen, seit acht in der Uni und hatte nach meinem Tutorium bis 18 Uhr ausgeharrt, um in die Vorlesung des Studium generale zu gehen. Aus Erfahrung kann ich inzwischen sagen, dass es nicht empfehlenswert ist, seine Stunden so zu legen, dass man von acht bis acht in der Uni ist … In der Vorlesung gibt es keine Anwesenheitspflicht, aber mein Ehrgeiz, auch noch die letzten Vorlesungen durchzuziehen, hat mich bis zum Abend in der Uni gehalten.

Das Studium generale ist eine interdisziplinär organisierte und für alle Interessierten offene Veranstaltung, die jedes Semester Vorlesungsreihen zu drei verschiedenen Themengebieten anbietet. Die einzelnen Vorträge werden von Dozenten unterschiedlichster Fachbereiche aus ganz Deutschland gehalten. In manchen Fächern, so auch bei mir, ist das Studium generale Teil des Modulplans, sodass ich in diesem Semester sowohl eine Vorlesung als auch eine begleitende Übung besuchen musste.
Meine gewählte Vorlesungsreihe trug den Titel „Heimat heute“, ein derzeit wohl vieldiskutiertes Thema, das – wie gezeigt wurde – in allen möglichen Fachbereichen, von der Philosophie über Kunst bis zur Psychologie, untersucht werden kann.

An jenem Abend sollte ein Politikwissenschaftsprofessor aus Dresden einen Vortrag zum Thema “Heimatliebe, deutscher Patriotismus und neue rechte Bewegungen” halten. Ich kannte diesen Professor nicht, habe mich vorher auch nicht über ihn informiert und bin ganz unvoreingenommen in die Vorlesung gegangen. Nach dem Vortrag aus der vorhergehenden Woche, der sich mit psychischen Erkrankungen von Migranten auseinandersetzte, war ich gespannt, wie der Dozent dieses doch brisante Thema aufarbeitet.

Das erste, was mich an diesem Abend wunderte, war die Tatsache, dass der Hörsaal bereits um 18:00 voll war, normalerweise waren nicht einmal 100 Leute anwesend. Bis Viertel nach Acht wuchs die Zahl der Zuschauer – laut Organisatoren – auf etwa 400; dabei fasste der Raum nur 300 Leute. Diejenigen, die keinen Platz mehr bekamen, mussten hinten stehen. Da einige Studenten da waren, die den Dozenten zu kennen schienen, wie ich ihren Worten entnehmen konnte, vermutete ich zunächst, dass die Vorlesung extra von Kursen der Politikwissenschaft besucht wurde.

Während eine Organisatorin den Dozenten ankündigte, gab es einen provozierenden Zwischenruf eines Studenten, der absolut unangebracht war und in mir das erste Fremdschämen auslöste. Meine Hoffnungen auf einen interessanten Vortrag wurden im weiteren Verlauf dann schnell zerstört. Der Dozent selbst hatte keine Präsentation vorbereitet und las lediglich einen Vortrag von seinem Blatt ab, was dem Thema seine Anschaulichkeit nahm, wäre es das einzige Negativ-Auffallende an diesem Abend geblieben.

Doch leider hatten sich einige Studierende verabredet, in die Vorlesung zu kommen und zu stören. Immer wieder fielen sie dem Dozenten ins Wort, beleidigten und verhöhnten ihn, beleidigten selbst unbeteiligte Leute, die nur für Ruhe sorgen wollten, beklopften ihre eigenen Aussagen und sorgten dafür, dass die Stimmung angeheizt wurde. Die Störungen erfolgten zwar nicht durchgängig, aber sie zogen sich durch den Abend, bis ich es nicht mehr aushielt und ging. Auch wenn es nur zwanzig Leute sein mochten, gefühlt saßen sie im ganzen Raum verteilt und warteten nur darauf, ihre Meinung reinzugrölen. Die Studenten, die aus Platzgründen am Ausgang standen und auf mich wie eine bedrohliche Wand wirkten, machten mein Unwohlsein nicht besser. Draußen standen im Übrigen schon Ordner und die Polizei bereit. Im Nachhinein erfuhr ich dann, dass es glücklicherweise nicht zu Ausschreitungen kam und die Organisatoren bereits vorher ein solches Ereignis einkalkuliert hatten. Der Vortrag wurde daher auch bewusst nicht abgebrochen.

Bereits während der Vorlesung und auch danach habe ich mich informiert, wer dieser Dozent eigentlich ist. Bekannt geworden ist er wohl durch seine intensive Beschäftigung mit PEGIDA, die von manche als zu unkritisch angesehen wird. Von einigen wird er als „akademischer Arm der Pegida“ und als PEGIDA-Versteher angesehen.

Kritik ist wichtig. In vielen Fällen ist sie angebracht. Auch dieser Dozent kann für seine Äußerungen kritisiert werden. Aber das gibt niemandem das Recht, einfach in eine Vorlesung zu stürmen und sie aus den Fugen zu bringen. Auf den Einwand, der Mann solle seine Meinung äußern dürfen, wurde immer wieder reingerufen, dass Rassismus keine Meinung sei. Dem stimme ich absolut zu. Trotzdem hat dieser Dozent in seinem Vortrag (und meiner Einschätzung nach in seinen vorigen Texten ebenfalls nicht, aber ich lasse mich gern eines Besseren belehren) zu keinem Zeitpunkt irgendetwas Rassistisches geäußert – im Gegenteil, er kritisiert AFD, PEGIDA usw. offen (siehe viele Texte in seinem Blog und auch das Zitat weiter unten). Politisch ist er dem konservativen Spektrum zuzuordnen (er ist seit 1994 Mitglied der CDU, wie seinem Blog zu entnehmen ist), aber stand kein AFD-Funktionär, Nazi o. Ä.., der den Menschen seine politische Weltanschauung eintrichtern und Gegner diskreditieren will. Dieser Mann hat einen Vortrag vorbereitet, dem andere zuhören und sich auf dessen Grundlage eine Meinung bilden wollten. Und dieses Recht sollte man ihm gewähren. Natürlich haben andere wiederum das Recht, ihre (Gegen-)Meinung kundzutun. Aber nicht so wie an diesem Abend.

Den Organisatoren war sehr wohl bewusst, wen sie da einladen und sie haben es in voller Absicht gemacht, mit der Möglichkeit zur Diskussion, zur kritischen Nachfrage. NACH dem Vortrag wohlgemerkt, nachdem man gehört hat, was er überhaupt zu sagen hatte. Statt jedoch sachlich zu argumentieren und sich mit seinem Standpunkt auseinanderzusetzen, wurde, wie bereits erwähnt, mehrheitlich reingerufen, beleidigt und gestört. – Ist das der Stil, auf dem wir uns bewegen wollen?
Ich würde mich selbst als links bezeichnen und teile viele linke Forderungen (Gleichberechtigung, höhere Erbschaftssteuer, Einführung einer Vermögenssteuer, Umweltschutz, Verbesserung der Sozialpolitik etc.), aber man sollte auch akzeptieren, dass es Leute mit anderen Ansichten gibt (und nein, Rassisten zählen nicht dazu). Alles andere ist intolerant. Und wenn es etwas an diesen Ansichten auszusetzen gibt, dann mit Argumenten. Nicht mit Beleidigungen.

Patzelt ist u. a. dafür, Begriffe wie „Patriotismus“ und „Heimatliebe“ nicht den Rechtsradikalen zu überlassen, sondern sie wieder „zurückzugewinnen“, wie er es auch in seinem Vortrag vorgebracht hat (vgl. http://wjpatzelt.de/?p=1212). Viele Studenten im Saal waren dagegen, auch ich stehe dem kritisch gegenüber. Für beide Seiten gibt es Argumente. Allerdings haben letztere ihr Dagegen nicht auf eine konstruktive Weise vorgebracht und das war meiner Meinung nach schade. Ein Diskurs zwischen verschiedenen Standpunkten kann nämlich durchaus interessant und gewinnbringend sein.

Am Tag danach in der begleitenden Übung haben wir uns mit Texten von Patzelt beschäftigt, um uns ein besseres Bild von ihm zu machen. In einem seiner Texte schreibt er zum Umgang mit Pegida:
„Folgendes wäre richtig gewesen: ‘Ernst nehmen, was an Sorgen und Anliegen hinter den – nicht selten ungehobelten und missratenen – Aussagen von PEGIDA-Demonstranten steht. Auch politische Gegner nicht verteufeln. Keine Forderungen durchgehen lassen, die sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung, Minderheiten, Eingewanderte oder Ausländer richten. Demonstrieren für die Werte unserer offenen Gesellschaft, auch auf der Straße. […]“

Des Weiteren stellt er im selben Text die Thesen auf, dass PEGIDA und AFD entstehen konnten, weil sich Menschen aus dem politisch rechtem Spektrum durch keine große Partei mehr repräsentiert fühlen, dass dahinter eine tiefe Unzufriedenheit mit Deutschlands Politik und Regierungssystem stecke und dass PEGIDA keine homogene Masse aus „Rassisten, Rechtsradikalen und Latenznazis“ sei, sondern dort Leute aus den verschiedensten Gründen agieren, was jedoch häufig vereinfacht werden würde. (Eine Studie der IW Köln hat übrigens unlängst gezeigt, dass viele AFD-Wähler zu den Besserverdienenden gehören; möglicherweise auch deshalb, weil die Partei den Spitzensteuersatz senken möchte.)

Gleichwohl ich es für falsch halte, Ängste und Sorgen ernstzunehmen, da man damit nur einräumt, dass es sie gibt und berechtigt sind (und dahinter doch meist nur Hass gegen Ausländer steckt), sehe ich nicht, dass hier ein Rassist spricht oder ein „PEGIDA Befürworter und Unterstützer menschenverachtender, rassistischer und klassistischer Ideologie“, wie es im FB-Aufruf der Linken Liste Mainz heißt.

Letztlich schadet sich in meinen Augen die Linke Liste nur selbst mit solchen (Aufrufen zu) Randalieraktionen. Ich zumindest werde mir in Zukunft zweimal überlegen, ob ich sie bei den StuPa-Wahlen wähle – was ich schade finde. Solch einen Abend möchte ich jedenfalls nicht wieder erleben, egal wer der Störenfried ist.

Link zum Aufruf der Linken Liste Mainz: https://www.facebook.com/linkelistemainz/posts/370422750001177

Detaillierter Bericht über den Abend:
http://www.campus-mainz.net/newsdetails/news/verpiss-dich-buhrufe-gegen-politikprofessor-patzelt/?no_cache=1&cHash=d805f4cd569d6646e14e351faf8322c7

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