Epochenüberblick 12: DDR-Literatur (1949-1990) – Literatur als gesellschaftlicher Auftrag

Der folgende Artikel beschäftigt sich dezidiert mit der Literatur, die in der DDR entstanden ist. Die Diskussion, ob es in der Zeit der Teilung zwei deutsche Literaturen gab, soll an dieser Stelle nicht weitergeführt werden. Vielmehr geht es darum, Merkmale dieser Epoche herauszuarbeiten.

Geschichtlicher Hintergrund

Die DDR (= Deutsche Demokratische Republik) entstand 1949 aufgrund der Teilung Deutschlands. Hatten sich die alliierten Siegermächte, die Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg besetzten, anfänglich noch um eine gemeinsame Politik bemüht, zerbrach die Zusammenarbeit an der Frage nach der zukünftigen Staatsform. Während in den westlichen Zonen eine Demokratie aufgebaut wurde, errichtete man in der sowjetischen Besatzungszone nach dem Vorbild der Besatzungsmacht den Sozialismus mit einer Planwirtschaft. An der Spitze des neu errichteten Staats regierte die SED (= Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) de facto in einer Ein-Parteien-Diktatur. Politische Gegner wurden bespitzelt, verfolgt, teilweise inhaftiert und ausgebürgert, Aufstände unterdrückt. Dem massenhaften Flucht der Menschen versuchte das Regime mit dem Mauerbau ab 1961 Einhalt zu gebieten. Unzufriedenheit, immer größer werdende Proteste (in allen kommunistisch geführten Ostblockstaaten) sowie eine kränkelnde Wirtschaft – die Planwirtschaft erwies sich als zu unflexibel – führten 1989 schließlich zur Maueröffnung und im Jahr darauf zur Wiedervereinigung mit Westdeutschland.

Literatur als Auftrag

Kultur und insbesondere Literatur hatten in der DDR eine besondere Stellung inne, bedingt dadurch, dass ihr eine politisch-gesellschaftliche Aufgabe zugesprochen wurde. Literatur sollte dazu dienen, die Verbreitung des Sozialismus voranzutreiben, der 1952 auf einem Parteitag der SED ganz offiziell beschlossen wurde. Was die Arbeiter in materieller Hinsicht taten, hatten die Schriftsteller in ideeller Hinsicht zu leisten. Produktionsmittel wurden verstaatlicht, die Planwirtschaft errichtet, aber genauso wichtig war es, die sozialistischen Ideen in den Köpfen der Menschen zu verankern.

Aus diesem Grund beschäftigte sich auch die politische Obrigkeit immer wieder mit Kunst bzw. Literatur. In seiner Rede „Der Künstler im Zweijahresplan“ auf einer Tagung der Schriftsteller und Künstler im September 1948 sprach Walter Ulbricht, zu jener Zeit stellvertretender Vorsitzender der SED, über die Aufgaben, die an die Schriftsteller gestellt werden:

„Die Hauptfrage scheint mir zu sein, daß unsere Genossen Schriftsteller und bildende Künstler vor allem dazu übergehen müssen, mehr mit dem Neuen, das sich entwickelt hat, zu leben und es zu erfassen.“ (Ulbricht, S. 437)

Die Auseinandersetzung mit dem „klassischen Erbe“ oder der unmittelbaren Vergangenheit wurde begrüßt; besonders geschätzt und gefordert wurde jedoch eine gesellschaftlich aktuelle Literatur
ganz im Sinne des sozialistischen Realismus, welcher sich gegen Abstraktion und Ästhetisierung wendet und stattdessen eine starke Wirklichkeitsnähe anstrebt.

„Die Künstler können den verschiedensten Kunstrichtungen angehören, aber als Partei haben wir einen ganz bestimmten Standpunkt, den des sozialistischen Realismus, und dieser Standpunkt muß mit Hilfe unserer Zeitschriften und auf jede Weise durchgesetzt werden.“ (Ulbricht, S. 439)

Literatur war in der DDR somit ganz der Politik unterordnet, anders als im Westen, wo Literatur einen autonomen Status besaß.

Schriftsteller in der DDR: Gefeiert, gescholten, ausgebürgert

Wie die Literatur, so hatten auch ihre Produzenten eine besondere Rolle inne. Die Schriftsteller/innen waren diejenigen, die den politisch-gesellschaftlichen Auftrag umsetzen sollten, wofür sie besondere Anerkennung bekamen. Taten sie das nicht oder wendeten sich allzu kritisch gegen den Staat, drohten ihnen Veröffentlichungsverbote, Zensur und andere Zersetzungsmaßnahmen.

Gleichwohl die DDR ohne Zweifel ein Unrechtsstaat war, politische Gegner ausgespitzelt, verfolgt und eingesperrt wurden, wäre es falsch, die Schriftsteller inhaltlich und gesinnungstechnisch unter einen Kamm zu scheren. Tatsächlich gab es nämlich ein ganzes Spektrum von Schriftstellern.

Auf der einen Seite des Spektrums standen die kritischen, oppositionellen Schriftsteller wie Wolf Biermann, Jürgen Fuchs, Roland Jahn oder Vera Lengsfeld, die sich gegen das Regime wendeten, teilweise in Haft genommen und zwangsausgebürgert wurden. Dem standen die parteilinientreuen Schriftsteller gegenüber, darunter Namen wie Hermann Kant (1926-2016), der mit „Die Aula“ (1965) einen Bestsellerroman schrieb, Helmut Baierl (1926-2005) oder Peter Hacks (1928-2003), die selbst nach Zusammenbruch der DDR an ihren sozialistischen Ideen festhielten. Dazwischen gab es eine Reihe Schriftsteller, die sich durchaus kritisch äußerten, grundsätzlich aber an der DDR festhielten, wie Christa Wolf (1929-2011), Heiner Müller (1929-1995) oder Stefan Heym (1923-2001).

Viele Schriftsteller, so etwa Brecht, Hacks oder Anna Seghers, gingen bewusst in die DDR, weil sie in ihr das Land sahen, das ihre humanistischen und sozialistischen Ideale erfüllte. So schrieb Anna Seghers: „Ich fuhr in die Ostzone, weil ich sicher war, daß dort meine Arbeit, gerade die Arbeit, zu der ich befähigt bin, in dem Kampf gebraucht und begrüßt würde, der um die neue Gesellschaft und um jeden einzelnen Menschen vor sich ging. […] Es geht dabei um die Freiheit des Schriftstellers und seine Verantwortung. […] Ich war also sicher, daß ich hier die Freiheit finde, die sich ein Schriftsteller wünscht. Aber zugleich war ich genötigt, in viel höherem Maß, als ich es bis jetzt erfahren hatte, mir Rechenschaft abzulegen, ob und wie mein Buch auf Menschen wirkt.“ (Seghers, zit. n. Jäger, S. 145)

Dass ein Text veröffentlicht wurde, bedeutete indes nicht unbedingt, dass er parteilinientreu war. Genauso wurden Werke von Schriftstellern, die als absolut parteilinientreu galten, wie Peter Hacks etwa, oft genug kritisch diskutiert und – in seinem Fall – vom Spielplan gesetzt (vgl. etwa die Veröffentlichungs- und Rezeptionsgeschichte seines Stücks „Die Sorgen und die Macht“).

Neue Gattungen und Modifikationen bestehender Gattungen

Genauso wenig wie es einen Typus Schriftsteller gab, gab es eine DDR-Literatur. Ganz im Gegenteil hat sie eigene oder modifizierte Gattungen hervorgebracht.

Ankunftsliteratur:
Die Ankunftsliteratur ist benannt nach dem Roman „Ankunft im Alltag“ (1961) von Brigitte Reimann (1933-1973), in dem drei Jugendliche nach dem Abitur in ein Kombinat (d. h. einen Zusammenschluss von Betrieben) gehen, um dort zu arbeiten und schließlich ihren Platz in der sozialistischen Gesellschaft zu finden. Reimanns Roman und insbesondere sein offenes Ende zeigt, dass diese Selbstfindung nicht ganz unproblematisch läuft.
Dieser Typus der Literatur geht auf den „Bitterfelder Weg“ zurück, eine ab 1959 gestellte Vorgabe an die Schriftsteller, selbst in die Betriebe zu gehen, um dort das Leben der Arbeitenden nachvollziehen zu können. Angedeutet wird er aber schon in oben genannter Ulbricht-Rede, wo es heißt: „Können die Kulturschaffenden nicht einige Monate des Jahres mit dem Besuch von Betrieben zubringen, wo sie mit Menschen zusammenkommen, die wirklich den Kampf um Neuaufbau führen? Ist das wirklich so schwer?“ (Ulbricht, S. 439)

Produktionsstück:
In den Produktionsstücken stehen der Arbeitsalltag von Arbeitern in den VEB, der kollektive Arbeitsgedanke sowie Probleme des Sozialismus, vor allem hinsichtlich der Lohn(un)gleichheit im Mittelpunkt. Beispiele hierfür sind Heiner Müllers „Lohndrücker“ (1958/59), aber auch Peter Hacks´ “Die Sorgen und die Macht“ (1962).

Andere, bestehende Gattungen wurden modifiziert:

Sozialistischer Bildungsroman:
Der sozialistische Bildungsroman greift eine traditionelle bürgerliche Gattung aus dem 18. Jahrhundert auf. Wie in Wielands „Agathon“ (1766/67) oder Goethes „Wilhelm Meister“ (1795) steht im Mittelpunkt eine junge männliche Hauptfigur, die sich ihren Platz im Leben sucht, dessen ausschnitthaft gezeigte Geschichte am Ende jedoch nicht zwangsläufig in einem gefestigten Platz im Leben mündet, sondern den Ausgangspunkt für neue Überlegungen bietet.

Während der Bildungsroman im Laufe der Zeit problematisiert wurde (wie etwa in Thomas Manns “Der Zauberberg” (1924), wo Hans Castorps sieben Jahre auf dem Zauberberg sich in Hinblick auf seine Entwicklung am Ende als sinnlos erweisen), nimmt der soz. Bildungsroman die alte Tradition auf und knüpft an das „klassische Erbe“ an. In Dieter Nolls zweiteiligem Roman “Die Abenteuer des Werner Holt” (1960/1963) stürzt sich die gleichnamige Hauptfigur enthusiastisch in den Zweiten Weltkrieg, verliert den Großteil seiner Freunde, kehrt desillusioniert zurück und erkennt erst allmählich für sich, wohin er gehen möchte – in den Sozialismus.

Sozialistische Komödie:
Während im Westen nach dem Krieg die traditionelle Komödie mit ihren lustigen Figuren und dem guten Ende problematisiert und zur (grotesken) Tragikomödie umgebaut wird, steht die Komödie der DDR ganz im Zeichen des Sozialismus. In Helmut Baierls Komödie „Frau Flinz“ (1961) besteht die Komik des Stücks darin, dass die Hauptfigur nicht begreift, dass das, was sie will – nämlich den Sozialismus – längst im Aufbau ist. Allmählich „verliert“ sie ihre Söhne an den Sozialismus, weil er ihnen ein Studium und freie Berufswahl garantiert, während sie im Glauben, den Sozialismus zu stoppen, dem Fortschritt noch unfreiwillig weiterhilft.

Peter Hacks, der bekannt für seine Komödie war, vertritt in seinem Schaffen mehrere Phasen. In seinem Frühwerk richtet er sich mit seinen historischen Dramen noch gegen die überkommene bürgerliche Ideologie, um im Gegenzug den Sozialismus als die neue, endgültige Ordnung zu stilisieren. Mit der allmählichen Etablierung des Sozialismus ist er der Überzeugung, dass die Literatur keine didaktischen Aufgaben mehr zu erfüllen hat und eine neue Dramaturgie vonnöten ist. Er entwickelt seine eigens geschaffenen sozialistischen Klassik, in der die Widersprüche des Sozialismus als nicht mehr antagonistisch bis hin zur völligen Abstraktion dargestellt werden.

Fazit

Die Literatur war in der DDR ein Instrument zur gesellschaftlichen Umwälzung hin in Richtung Sozialismus. Die Schriftsteller hatten den Auftrag, eine solche Literatur zu schreiben; taten sie das nicht, drohten ihnen Bespitzelung und drastische Maßnahmen. Die Forderung nach einer Beschäftigung mit alltäglichen Fragen hat dabei neue Formen hervorgebracht, die kein Pendant im westlichen Nachbarn finden.

Literaturangaben

Barner, Wilfried (Hrsg.): Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. München 1994.
Jäger, Andrea: Schriftsteller-Identität und Zensur. Über die Bedingungen des Schreibens im „realen Sozialismus. In: Literatur in der DDR. Rückblicke. Hg. v. Heinz Ludwig Arnold, Frauke Meyer-Gosau. München 1991 (= Text + Kritik Sonderband), S. 137-148.
Link, Jürgen: Von der Spaltung zur Wiedervereinigung der deutschen Literatur? (Überlegungen am Beispiel des Produktionsstücks). In: Jahrbuch zur Literatur in der DDR 1/1980, S. 59-77.
Ulbricht, Walter: Der Künstler im Zweijahresplan. Diskussionsrede auf der Arbeitstagung der Genossen Schriftsteller und Künstler. 2. September 1948. In: Zur Tradition der deutschen sozialistischen Literatur. Kommentare. Hg. v. der Akademie der Künste der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin, Weimar 1979, S. 436-440.

Und was denkst du dazu?

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.