“Ich weiß, dass ich nichts weiß” – Über Möchtegern-Philosophen und die elitären fünf Prozent dieser Welt
So oft hört man es, ob in der Schule, in der Uni oder auf der Arbeit: Wir sind die besten fünf Prozent der Welt, die Elite, der alles zur Verfügung steht. Wir leben in einer vermeintlichen Chancengleichheit, dürfen alle eine mehr oder weniger gute Bildung erfahren und studieren. Wir können es uns leisten, im Wohlstand zu leben. Die Probleme, welche die meisten von uns haben, sind eigentlich unerheblich. Der Rest der Welt muss leiden. Ihnen fehlt es an Wohlstand, Bildung, sogar an Essen. Sie leben in Unsicherheit, sind oft in Teufelskreise ohne Entkommen verwickelt und einige von ihnen müssen sogar fürchten, den nächsten Tag nicht zu erleben.
Fünf Prozent also. Wenn ich mir einen Kuchen vorstelle, von dem ich nur fünf Prozent abbekomme, wäre ich enttäuscht über die mangelnde Größe des Kuchenstücks. Und zu dieser geringen Anzahl an Menschen, zu dieser Elite soll ich gehören? Ich lebe mit dem Privileg, all die schönen Seiten des Lebens genießen zu können, während ich die negativen Seiten leicht ausblenden kann. Und was machen wir in unserer elitären Existenz? Bestenfalls bilden wir uns weiter, lesen etwas Sinnvolles, helfen irgendwo ehrenamtlich. Doch in den meisten Fällen sitzen wir zu Hause am Computer, sehen uns stundenlang Videos an, saugen die Neuigkeiten der Welt in uns auf, ohne wirklich darauf einzugehen, oder vertreiben unsere Zeit mit Spielen, die uns zugegebenermaßen in vielen Fällen in unserem Leben nicht wirklich weiterbringen. Vielleicht treiben wir auch Sport oder sinnieren als Möchtegern-Philosoph über den Sinn des Lebens und die Struktur der Gesellschaft, kritisieren hier und jammern dort, bleiben aber trotzdem in unserer Position stecken und stagnieren wie das Wasser unter der gefrorenen Eisschicht eines Sees vor uns hin, ohne ernsthaft zu versuchen, diese Eisdecke aufzubrechen (ich, zum Beispiel). Die elitären fünf Prozent sind möglicherweise diejenigen, die ihre Zeit am meisten verschwenden. Das ist ja grundsätzlich auch gar nicht negativ – wenn wir es uns schon leisten können, warum sollten wir es nicht tun?
Sehr selten nur kommt uns hier der Gedanke, was eigentlich die restlichen fünfundneunzig Prozent der Welt so macht. Was wohl jenes Kind in Afrika gerade macht? Wie es wohl diesen Menschen in einem weit entfernten Krieg geht? Was denkt eigentlich gerade der Obdachlose in der Straße hinterm Bahnhof?
Die elitären fünf Prozent haben eigentlich oft genug Zeit, doch was tun sie? Jedenfalls nicht den restlichen fünfundneunzig Prozent zu einem elitären Standard verhelfen. Wir sonnen uns auf unserem elitären Status und wollen nichts von dem wissen, was nicht Elite ist.
Natürlich trifft das nicht auf alle zu – bei weitem nicht – aber leider auf viele. Es sind vielleicht weitere fünf Prozent der Elite, die einsehen, dass das Leben nicht immer so ist, wie es scheint. Dass nicht immer alles schwarz und weiß, Elite und nicht Elite ist. Fünf Prozent von fünf Prozent der Welt versuchen das Leben zu verstehen – der Rest ignoriert das Leben.
Und fünf Prozent von fünf Prozent sind es auch, was wir von der Welt kennen. Wir kommen uns als Elite immer achso schlau und gebildet vor, so allwissend und keiner kann über uns stehen. Wir wissen alles und wir wissen es besser. Aber was wissen wir schon? Wir wissen, was wir wissen sollen. Wir wissen, was wir in der Schule lernen. Wir wissen, was wir auf Bildern sehen und in Büchern lesen. Wir haben Fotos gesehen von Orten, die wir niemals mit eigenen Augen betrachten werden; wir haben vielleicht hundert oder tausend von abermillionen Orten, Pflanzen, Tieren und Naturphänomenen gesehen, die es auf der Welt gibt. Wir sprechen bestenfalls drei oder vier von siebentausend Sprachen, die global existieren. Wir kennen die grundlegendsten Vorgänge in der Natur und unserem Körper. Von allem kennen wir nur die Spitze des Eisbergs. Und wenn wir glauben, dass wir eine Antwort auf eine unserer unzähligen ungeklärten Fragen gefunden haben, eröffnen sich damit weitere Türen, die abermals hunderte Fragen aufwerfen. Für jede Antwort, die wir bekommen, stellen wir tausende neue Fragen. Je mehr wir wissen, desto weniger wissen wir eigentlich. Je mehr wir erfahren, desto deutlicher wird uns bewusst, wie viel es auf der Welt eigentlich zu lernen gibt. Unser ganzes Leben reicht nicht einmal aus, um nur ein Prozent dieser Phänomene, Orte, Lebewesen und anderen Dingen kennenzulernen. Wir könnten hunderte Jahre leben, hundertmal wiedergeboren werden und trotzdem würden wir niemals alles wissen und schon gar nichts besser. So wird uns bewusst, dass wir nichts wissen. Das einzige, was wir wissen, ist, dass wir nichts wissen. Schon Platon hat das vor vielen Jahren erkannt. Platon ist aber nur unter den fünf von fünf Prozent auf dieser Welt.
Ich assoziiere spontan das Lied “Nichtwissen” von den Ärzten mit deinem Artikel. Falls es dir nichts sagt hör es dir doch mal an.