Theater und Performance

Immer öfter hört man heutzutage von Performances. Doch was ist das überhaupt? Und ist das noch Theater?

Der Begriff „Theater“ lässt sich auf verschiedene Weisen definieren. Wenn man sich mit Gattungen wie der Performance beschäftigt, unterscheidet man häufig einen engen und einen weiten Theaterbegriff. Ein enger Theaterbegriff bezeichnet die Art von Theater, die vermutlich jeder direkt mit dem Begriff in Verbindung bringt: Eine feste Bühne, auf der Schauspieler vor einem Publikum ein Stück aufführen. Der weite Theaterbegriff hingegen bezieht alle Arten von Aktionen mit theatralem Charakter ein: Performances, Happenings, aber auch Umzüge, Fußballevents und andere große Massenveranstaltungen. Je nach Untersuchungsgegenstand kommt ein anderer Theaterbegriff zum Tragen.
Dementsprechend ist die Performance sowohl Theater als auch im strengen Sinn kein Theater.

Merkmale der Performance

Im Unterschied zu Theaterstücken streben Performances eine gemeinsame Realerfahrung an, die von Künstler und Publikum gleichermaßen erlebt werden soll. Natürlich ist auch Theater real und unmittelbar. Die Performance geht darüber aber noch ein Stück hinaus. Wo im Theater Schauspieler X die Rollenfigur Y verkörpert, eine Requisite ein Haus darstellen und die Zeit 1789 sein soll, ist der Performer immer er selbst in diesem Moment an einem bestimmten Ort. Es wird nichts repräsentiert, keine Handlung gespielt.¹ Wenn der Performer etwas trinkt, trinkt er es wirklich, wenn er sich verletzt, verletzt er sich an seinem eigenen Leib. Die Präsenz steht ganz über der Verkörperung.

Im Theater geht es darum, ein fertiges Resultat (= eine Inszenierung) darzubieten. In der Performance hingegen wird ein Prozess vollzogen, dessen Ausgang offen ist. Wenn die Performancekünstlerin Milo Moiré in ihrer Performance „Mirror Box“ (2016) nackt durch eine Stadt läuft und Passanten bittet, ihre Brüste zu berühren, kann theoretisch alles passieren. Natürlich ist auch das Theater nicht vor Überraschungen gefeit, schließlich haben wir es hier genauso mit einem Live-Moment zu tun. Theater ist allerdings von vornherein darauf ausgelegt, wiederholt zu werden, was alles potenziell Gefährliche ausschließt. Milo Moiré wurde bei ihrer Performance in London verhaftet.²

Während im Theater zumeist die Sprache das wichtigste Ausdrucksmedium ist, ist es in der Performance der Körper, der das Material bildet, mit dem gearbeitet wird. Und Material darf hier ganz wörtlich genommen werden: Nicht selten wird er geschlagen, verletzt und an seine physischen Grenzen getrieben.³ Der Zuschauer wird auf diese Weise unmittelbaren Affekten ausgesetzt. Statt Interpretation geht es in der Performance um emotionalen Mitvollzug. Die Forscherin Ingrid Hentschel sieht in diesem Training der Affekte eine Abhilfe gegen die zunehmende Affektlosigkeit der Gesellschaft. Hans-Thies Lehmann hingegen hält die Performance für ein Mittel gegen die Mediatisierung der Welt.4

Man könnte nun fragen: Wenn ich durch die Stadt gehe wie Milo Moiré, ist das auch eine Performance? Denn dabei handelt es sich genauso um einen Prozess, der hauptsächlich mit dem Körper zu tun hat, der einen ungewissen Ausgang birgt und bei dem ich niemanden spiele. Trotzdem würde man einen gewöhnlichen Spaziergang nicht Performance nennen, Moirés Aktion schon. Hier wird nun die Verbindung zum Theater bzw. der theatrale Charakter deutlich: Zur Performance würde ein Vorgang wie dieser erst werden, wenn ich mich selbst hervorhebe (durch Kleidung, Taten), wenn jemand darauf reagiert – sei es nur, indem er sich abwendet – und ich gewissermaßen die Straße zu meiner Bühne mache. Dazu kommt, dass ich bewusst etwas tun muss. Genau wie das Theater unterliegt die Performance einer gewissen Dramaturgie, mag das Ende noch so offen sein. Milo Moire wollte mit ihrer Performance auf die sexuelle Mitbestimmung der Frau hinweisen. Alles, was sie als Künstlerin und ihre Performance betraf, war von vornherein festgelegt. Den Kunstcharakter ihrer Performance betonte sie – wie viele Performancekünstler – mit ihrem Titel „Mirror Box“. Der Regisseur Richard Schechner hat Performance mal mit folgenden Schlagworten definiert: Doing something, show doing something, explain doing something. Es gehört also nicht nur dazu, etwas zu tun, sondern es auch in irgendeiner Weise zu zeigen und zu erklären.

All die aufgeführten Aspekte sind idealtypische Merkmale von Performances. Nicht alle müssen auf jede Performance zutreffen. Auch gibt es zahlreiche Zwischenformen von Theater und Performance. Die Performance „50 Grades of Shame“ (2016) der Gruppe She She Pop etwa würde man zweifelsohne eine Performance nennen, gleichwohl sie auch repräsentative Elemente beinhaltet.

Zur Geschichte von Theater und Performance

Wie wir gesehen haben, ist der Körper das wesentliche Element einer Performance. Auch in der Geschichte von Theater ist er von Bedeutung. Die Entwicklung von Theater verlief nämlich im Wesentlichen aufgrund der Rezeption des Schauspielerkörpers.

Vom 18. bis ins 20. Jahrhundert war in Deutschland das Literaturtheater vorherrschend. Theater hatte den Anspruch, die in einem Dramentext niedergeschriebenen Bedeutungen durch die Schauspieler zu verkörpern. Dementsprechend sollte der Schauspieler nur die im Text vorhandenen Zeichen darstellen und mit seinem individuellen Körper ganz hinter einer Rollenfigur „verschwinden“. Der Zuschauer wiederum sollte in der Illusion aufgehen und nur die Figur wahrnehmen. Dies hat jedoch einen Haken: Die Figur Hamlet existiert in leiblicher Hinsicht nur durch den Schauspieler, der ihn verkörpert. So kann Hamlet immer ein ganz anderer sein, je nachdem, ob er von einem kleinen braunhaarigen Schauspieler, einem großgewachsenen Blonden oder einer Frau gespielt wird. Ein Schauspieler wird daher niemals hinter einer Figur verschwinden können.

Im 20. Jahrhundert wandte man sich vom Literaturtheater ab. Theater wurde als eigenständige Kunst proklamiert, das seine eigenen Bedeutungen erschafft.5 Der Körper trat in den Fokus, der als formbares Material (Vsevelov Meyerhold) verstanden oder dessen Unkontrollierbarkeit betont wurde (Edward Gordon Craig). Theaterformen wie das epische oder das absurde Theater brachen mit Konventionen wie der vierten Wand oder der Illusionbildung.

Ab den 1960ern entwickelte sich die Performancekunst, die sich gegen die in ihren Augen überholte Theatertradition wandte. Häufig diente sie auch als Protestgeste gegen Tabus oder politisch-gesellschaftliche Restriktionen, wie etwa der Wiener Aktionismus.6

Das repräsentative Theater hat sich jedoch bis heute erhalten. Mal wird die Illusion und die Rollenfigur stärker hochgehalten, mal der individuelle Körper betont. In zeitgenössischen Inszenierungen wird häufig auch mit beiden Ebenen gespielt, indem zwar Dramen inszenieren werden, dort jedoch Verfahren zum Tragen kommen, die die Aufmerksamkeit auf die Individualität der Schauspieler lenken, bspw. durch die Hervorhebung des Darstellerkörpers (Nacktheit, Devianz, Mann spielt eine weibliche Rollenfigur etc.).7

Quellenangaben

¹ Da es aus diesen Gründen weniger um schauspielerische Qualität geht, werden häufig Laien verwendet. Ein Beispiel dafür sind die Aktionen der Gruppe „Rimini Protokoll“.
² http://www.bento.de/politik/nacktkuenstlerin-milo-moire-in-london-verhaftet-657182/ (31.03.18)
³ Bekannt dafür sind die Performances der Künstlerin Marina Abramovic.
Ingrid Hentschel: „Performance als Rückkehr zum Ritual? Nackte Gewalt im
zeitgenössischen Theater.“ In: Hentschel, Ingrid/Hoffmann, Klaus (Hg.): Spiel – Ritual – Darstellung. Münster 2005, S. 113-131 (= Scena, Bd. 2).
Hans-Thies Lehmann: Postdramatisches Theater. Frankfurt/M. 2005, S. 241-260.
Mehr dazu hier: http://www.lyrisches-wir.de/theater-verstehen-3-teil-uber-die-kritik-an-inszenierungen/
6 Zum Wiener Aktionismus ausführlich vgl. Ulrike Traub: Theater der Nacktheit. Zum Bedeutungswandel entblößter Körper auf der Bühne seit 1900. Bielefeld 2010, S. 250-292.
Die gesamte geschichtliche Darstellung beruht auf: Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen. Frankfurt/M. 2004, S. 129-160 (= Edition Suhrkamp, Bd. 2373).

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