Theater verstehen – 2. Teil: Kino vs. Theater?

„Wo wollen wir heute hingehen? Ins Kino oder ins Theater?“
Ohne an dieser Stelle eine offizielle Umfragen präsentieren zu können, wäre bei den meisten Leuten wohl Kino die Antwort. Das muss nicht daran liegen, dass man das Theater generell als „überholt“ ansieht, sondern vielleicht an der Lage des Kinos oder den günstigeren Preisen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass im Kopf vieler Menschen Wörter wie „alt“ und „langweilig“ herumschwirren, wenn sie ans Theater denken. Warum noch ins Theater gehen, wenn man doch auf einer großen Leinwand sehen kann, wie wilde Weltraumschlachten stattfinden, während man nebenbei ungestört essen und aufs Handy gucken kann?

Das Theater gibt es praktisch seit Ewigkeiten, das Kino erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Anfangs stand vor allem das Erstaunen über die Möglichkeit, Szenen festzuhalten, im Vordergrund, weshalb vorrangig Dokumentationen des realen Lebens als Filme gezeigt wurden. Die ersten Spielfilme entstanden rund zwanzig Jahre später.

Gleichwohl viele Theater heutzutage kaum Geld zur Verfügung haben und längst nicht mehr so ein großes Publikum anziehen können wie vor hundert Jahren, gibt es sie nach wie vor. Die Frage, wo man seinen Abend verbringt, mag Geschmackssache sein, ob es einen wirklich “Kampf” zwischen den beiden Institutionen gibt, jedoch nicht.

Kino und Theater sind zwei völlig eigenständige Medien. Es ist nicht so, dass das Kino eine moderne Fortsetzung von Theater ist, so wie die DVD die VHS-Kassette ersetzt hat. Denn dann würde es das Theater überhaupt nicht mehr geben. Deutlich wird der Unterschied von Kino und Theater, wenn man sich einmal mit dessen grundlegenden Eigenschaftenauseinandersetzt.

Das Kino besticht durch Effekte und realistische Darstellungen, die im Theater nicht möglich sind. Das müssen nicht mal spektakuläre Explosionen sein, es reicht schon, wenn eine Auto in drei verschiedenen Perspektiven über eine Straße fährt. Das Theater hingegen setzt ganz auf seine theatralen Mittel, die im Unterschied zum Film, der diese übernommen hat, in einer Live-Darbietung zum Ausdruck gebracht werden. Das sorgt natürlich für ein ganz anderes Verhältnis zwischen Zuschauer und Schauspieler. Wenn im Zuschauerraum etwas passiert, ein Handy klingelt, das Publikum unzufrieden oder atemlos vor Spannung ist, bekommt das der Schauspieler mit. Der Filmschauspieler kann auf die Reaktion des Zuschauers nicht eingehen, weil er sie natürlich nicht wahrnimmt.
Ein Film wird in mehreren Monaten Arbeit aufwändig gedreht und geschnitten. Wenn sich dort ein Schauspieler verspricht, wird das niemand mitbekommen. Im Theater schon. Ein Film ist ein fertiges Produkt und wird dann im Kino immer wieder ausgestrahlt. Eine Theateraufführung ist ein einmaliges Ereignis, in dem Schauspieler ausfallen können oder die Technik versagt. Die psychologisch-realistische Spielweise des Theaters, die seit dem 20. Jahrhundert immer wieder aufzubrechen versucht wird, hat sich übrigens der Film zu eigen gemacht. Dort gilt es als besonderes Qualitätsmerkmal, wenn Figuren möglichst plastisch sind und der Zuschauer sich besonders gut mit ihnen identifizieren kann.

Wenn man also Gründe suchen will, warum das Theater eher gemieden wird, dann nicht, weil es von der Form her überholt ist. Vielleicht liegt es wirklich an unserer schnelllebigen Zeit, in der man so daran gewöhnt ist, sich nicht mehr über längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren, dass man sich eher den Kinofilmen zuwendet, die man notfalls später noch einmal anschauen kann.

5 comments

  • fand den Text sehr interessant

  • Ich finde es sehr schade, dass das Theater an sich in deutschen Schulen überhaupt nicht behandelt wird. Zwar liest man ab und an ein Drama, aber tatsächliche Dramentheorie, Inszenierungstechniken und bekannte Regisseure werden überhaupt nicht durchgenommen, obwohl sie so ein großer Teil unserer Kultur und Sprache sind. Bevor ich in England meinen Drama-Kurs hatte, war meine Vorstellung vom Theater auch sehr verfälscht. Erst in England lernte ich einen Bruchteil davon, was das Theater wirklich sein kann und ausmacht. Nie hatte ich vorher eine Vorstellung vom epischen Theater und jetzt will ich fast nichts anderes mehr sehen. Aber wenn ich mir die Vorstellungen anschaue, die bei uns in den Theatern laufen, kann ich es vielen auch nicht verdenken, dass sie nicht gerne ins Theater gehen. Manchmal sind sie selbst meiner Meinung nach einfach nur langweilig und wenn sie das nicht sind, versteht der Unwissende sie nicht. So etwas wie eine Vorstellung nach dem epischen Theater gibt es hier gar nicht.
    Ich finde es wirklich schade, dass die Schule in dieser Hinsicht nichts zu der Bildung der Schüler beiträgt und es keine Exkursionen ins Theater gibt. Außerdem finde ich schade, dass bei uns in den Theatern so wenig experimentiert wird und der Schüler sich die Karten oft nicht einmal leisten kann. Theater ist manchmal einfach ein Privileg der oberen Mittelschicht und scheint vielen Jugendlichen somit intellektuell und finanziell unerreichbar, dabei kann Theater so schön und lebendig sein!

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