Warum man nicht so viel auf Schreibtipps geben sollte
Während ich mein erstes Buch geschrieben habe, aber auch noch beim momentanen Schreiben des zweiten Buchs habe ich öfter nach Schreibtipps gesucht. Zugegebenermaßen habe ich mich mit dieser Recherche häufig vorm Schreiben gedrückt oder mich in einer beginnenden Schreibblockade zum Weiterschreiben motiviert. Was mir allerdings bei meiner Suche sehr stark aufgefallen ist: Wirklich weitergebracht haben mich diese Tipps wenig. Ich würde sogar fast soweit gehen zu sagen, dass Schreibtipps eher schädlich als nützlich sind. Manchmal haben mich einige Tipps schon ziemlich verunsichert, wenn ich bemerkt habe, dass ich sie nie umgesetzt habe. Gerade gemeckert und verboten wird ja gerne: Benutze keine Adverbien, schreibe nur kurze Sätze, Synonyme sind nutzlos! Zwischen den Tippgebern herrschen häufig auch krasse Widersprüche und entgegengesetzte Meinungen. So hat Rowling das komplette Harry-Potter-Universum bis aufs kleinste Detail durchgeplant gehabt mit allen Plottwists, während Steven King behauptet, wer seine Bücher plane, sei ein schlechter Autor. Hier möchte ich also mal ein paar Schreibtipp-Mythen aus der Welt schaffen. Direkt vorweg sage ich: Das ist natürlich meine Meinung – genau das ist die Essenz, um die richtigen Schreibtipps für sich selbst zu finden.
Ein paar Vorworte zu Genres und Charaktere:
Genres und deren Konventionen
Ich fange mal mit dem in meinen Augen zweitwichtigsten an: Genrekonventionen. Jedes Genre hat bestimmte Charaktere, Schreibstile, Aufbauten, Handlungsweisen etc. gemeinsam. So ist ein Fantasyroman meistens von Heldencharakteren, ungewöhnlichen Umgebungen, vielen Naturbeschreibungen, Kämpfen und magischen Begebenheiten geprägt, während ein Liebesroman für junge Erwachsene mehr mit Alltagshelden oder Antihelden in außergewöhnlich gewöhnlichen Situationen arbeitet. Diese Genres bringen komplett unterschiedliche Voraussetzungen mit: Die meisten Fantasyromane haben einen klaren Konflikt, der häufig äußerlich stattfindet (Gut gegen Böse, der Auserwählte, der geheime Schatz etc.), Liebesromane allerdings beschäftigen sich häufiger mit inneren, nicht so offensichtlichen Konflikten. Während in einem Fantasyroman vor allem die äußere Entwicklung der Geschehnisse von Bedeutung ist, folgt der Leser in einem Liebesroman der Charakterentwicklung und vor allem der Entwicklung einer Beziehung zwischen zwei Menschen. Wir sehen also, dass das Genre einen großen Unterschied macht. Natürlich muss das nicht so sein, Genres können durchaus vermischt werden oder Bücher können sich weigern, sich einer bestimmten Konvention zuordnen zu lassen! Gibt man dem Leser aber etwas, das er kennt und womit er arbeiten kann, macht man es ihm deutlich leichter – sich selbst im Übrigen auch, denn durch das Vermischen verschiedener Genres kommt man in die Versuchung gleich alle Konventionen zu nutzen, die einem nun zur Verfügung stehen, was schnell zu viel wird und für den Leser nicht mehr nachvollziehbar ist.
Ein Beispiel aus meinen Schreibgedanken: Ich persönlich bin zwar ein Verfechter des offensichtlichen Konflikts, dem der Leser mit Spannung folgen kann, doch das ist je nach Plot nicht immer so einfach.
In meinem ersten Buch hat der Hauptcharakter direkt auf der ersten Seite enthüllt, dass sich seine beste Freundin umbringen und vorher noch zwölf bestimmte Dinge mit ihm zusammen erleben will. Der Konflikt ist klar: Er will natürlich nicht, dass sie stirbt und hat zwölf Gelegenheiten, sie vom Leben zu überzeugen. Das wirft im Leser gleich mehrere Fragen auf: Wird er es schaffen, sie zu überzeugen? Wie (nicht)? Warum will sie sterben? Wie werden sich die Charaktere entwickeln und welche Herausforderungen werden auf sie zukommen? Hier wird auch noch einmal klar, dass der Konflikt innerer Natur ist.
In meinem zweiten Buch ist die Sache schon nicht mehr so einfach. Durch einen Prolog habe ich den Charakter erzählen lassen, dass sein Freund ein guter Mensch war, auch wenn alle anderen ihm etwas anderes einzureden versuchen. Jedoch hat sein Freund ihn verlassen, was ihn dazu bewegt, auf einem Strommast zu stehen und darüber nachzudenken, ob jetzt ein geeigneter Zeitpunkt ist, einfach zu springen und sein Leben zu beenden. Jetzt fragt sich der Leser zwar, wer genau dieser Freund ist, warum so eine Differenz in den Meinungen über ihn herrscht, warum er ihn verlassen hat und warum das so schlimm ist, doch ein klarer Plot ist im Gegensatz zu den zwölf Gelegenheiten in meinem ersten Buch nicht vorgegeben. Der Leser hat keine Orientierung, was genau passieren wird. Wie bauen wir also Spannung auf, um den Leser beim Lesen zu halten?
Die fast universelle Antwort lautet: Charaktere. Was mich zu meinem nächsten Punkt führt.
Charaktere und deren Wichtigkeit für den Plot
Klar, Charaktere sind das A und O eines Romans. Dabei muss der Charakter nicht einmal besonders sympathisch oder identifizierbar sein – auch ein Buch aus der Sicht eines Serienmörders kann interessant sein. Der einzige Todesstoß ist Langeweile. Finden wir einen Charakter langweilig, haben wir keine Lust ihn auf seinen Abenteuern zu begleiten.
Trotzdem gibt es auch hier wieder Unterschiede in der Wichtigkeit der Charaktere für den Plot und dessen Vorantreibung. Natürlich muss auch ein Charakter in einem Fantasyroman sich entwickeln und sich Herausforderungen stellen, um am Ende das zu erreichen, was nötig ist, um die Welt zu retten. Doch der Charakter ist definitiv nicht das Einzige, was den Plot vorantreibt. Ebenso wichtig ist die Umwelt, die zufälligen Ereignisse und Begegnungen, die Feinde, die Eigenschaften des zu rettenden/begleitenden/tragenden Objekts. So spielen in Der Herr der Ringe nicht nur die Charaktere eine wichtige Rolle, sondern auch Mittelerde, der Ring und die übernatürlichen Fähigkeiten.
In einem Liebesroman sieht das schon ganz anders aus. Da sind die Charaktere tatsächlich so gut wie das Einzige, was zählt. Die Charaktere interagieren zwar mit der Umwelt und mit zufälligen Ereignissen und Begegnungen, doch es kommt darauf an, wie die Charaktere darauf reagieren und wie sie sich verändern, während in einem Fantasyroman eher wichtig ist, welchen Fortschritt diese Ereignisse in der Mission, die Welt zu retten, darstellt.
In einem Fantasyroman haben wir also viele Möglichkeiten, den Leser bei der Stange zu halten. In einem Liebesroman müssen wir allein durch die Glaubwürdigkeit und Liebenswürdigkeit der Charaktere punkten. Ihre Geschichten müssen uns mitreißen, uns zerreißen, uns das Leben und die Liebe fühlen lassen. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass Liebe nicht nur Glücksgefühle und Sex bedeutet, sondern auch Herausforderungen, Enttäuschungen, Missverständnisse, Betrug, Ablehnung, Hass und eben alle Gefühle im menschlichen Gefühlsspektrum. Niemand will eine Geschichte lesen, in der es zugeht wie auf einem Ponyhof. Wir wollen sehen, wie die Charaktere mit den Herausforderungen, der Ablehnung und all diesen Dingen umgehen, wie sie zu dem werden, was sie am Ende sind, und vor allem wie sie das dazu befähigt, eine Beziehung zu einem Charakter zu führen.
Darauf aufbauend meine Gedanken zu bestimmten Schreibtipps:
Das Vorausplanen des Plots
Wie oben angedeutet, gibt es darüber verschiedene Meinungen. Die einen meinen, man könne kein vernünftiges Buch ohne Planung schreiben, die anderen legen größten Wert auf Spontanität. Ich kann nur sagen: Es kommt auf den Plot, die Charaktere, das Genre und vor allem den Autor selbst an. Der Autor selbst muss entscheiden, was für ihn persönlich richtig ist und im Zweifelsfall ausprobieren. In der sechsten Klasse (und noch lange danach) habe ich mich an einem Fantasyroman versucht, der kläglich an einer fehlenden Planung scheiterte. Ich hatte außer ein paar nicht besonders zusammenhängenden Schlüsselereignissen keinen Plot. Bei meinem ersten fertigen Roman habe ich dafür sehr viel geplant: Ich habe mir alle zwölf Gelegenheiten aufgeschrieben, was dort ungefähr passieren wird und inwiefern das die Entwicklung der Charaktere und des Plots vorantreibt. Konstant habe ich mir in einem Heft Notizen gemacht und diese Orientierung hat mich dazu befähigt, innerhalb eines Monats ein vorzeigbares Ergebnis abliefern zu können. Wichtig dabei war für mich, noch Spielraum für ungeplante Entwicklungen zu lassen. Im Optimalfall (und es sollte bei einem guten Roman immer der Optimalfall vorliegen) entwickeln die Charaktere ihr Eigenleben. Und wenn dann ein Charakter sich doch in einen anderen verliebt, ist das für den Autor zwar ein kleines Desaster, für den Leser allerdings ein noch größeres Desaster aus der Sicht eines Charakters zu lesen, der spürbar Dinge tut, die er eigentlich gar nicht will. Erst wenn man die ungeplanten Entwicklungen zulässt, werden Charaktere und Geschichte lebendig und glaubwürdig und dafür muss man bereit sein, Plotopfer zu bringen und eventuell spontan etwas zu ändern.
Für den Roman, den ich im Moment schreibe, habe ich hingegen kaum etwas geplant. Ich weiß den Anfang und das Ende, ein paar Schlüsselereignisse und kenne die Charaktere. Dann habe ich die Charaktere zu Papier gebracht und sie ihre eigene Geschichte schreiben lassen. Das hat Vor- und Nachteile. Zum einen bleibt es auch für den Autor spannend. Durch das fehlende Festlegen auf ganz bestimmte Ereignisse gibt man den Charaktere genug Raum, sich zu entfalten und eine glaubwürdige Geschichte zu kreieren. Zum anderen aber sitze ich manchmal vor meinem Laptop und weiß nicht weiter. Manchmal bin ich mir nicht sicher, was wirklich gebracht wird und was nicht. Man tritt schnell in die Falle des Schreibens zum reinen Vergnügen und beachtet nicht mehr, dass wirklich jedes Wort den Plot oder die Charakterentwicklung vorantreiben sollte.