Kulturbanausen?

“Auf! Auf! Ruft Kultur durch alle Gassen! Weckt die Lehrer auf! Schüler bindet mich! Führt mich von hinnen! Ich will Geheimnisse aufdecken, dass denen, die sie hören, die Haut schauern soll.”

Dieses von mir leicht veränderte Zitat stammt aus einem meiner Lieblingsdramen Schillers “Kabale und Liebe”, von dem einige meiner Altersklasse sicher noch nie gehört haben. Meinen Beitrag möchte ich jedoch nicht nutzen, um zu äußern, wie schlecht gebildet einige Jugendliche möglicherweise sind, sondern ich möchte die Frage stellen, wieso die heutige Generation allgemein als desinteressiert an Literatur, Musik und Kunst sind und woran das liegen könnte.

Kultur schallt es von allen Dächern

Überall wird der Erhalt der Kultur gefordert, sei es in der Politik, wenn Gelder für kulturelle Einrichtungen gefordert und letztendlich doch gekürzt werden, in den Medien oder in der Schule, die ja wert darauf legt, ihre Schützlinge als gebildete Erwachsene zu entlassen. Spätestens seit der PISA-Studie, bei der Deutschland besonders in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen weit abgeschlagen im Mittelfeld liegt, wird ein höheres Bildungsniveau gefordert. Doch gerade Jugendliche werden häufig als diejenigen angesehen, die sich nicht mit dem Geistesleben auseinandersetzen und sich stattdessen lieber mit sich und Freunden beschäftigen. Ich bin mittendrin, denn ich bin eine Jugendliche und deshalb ist es unerlässlich, Beispiele meiner eigenen Gegenwart einfließen zu lassen. Vielleicht stehe ich nicht auf jeder Feier im Mittelpunkt, aber das brauche ich nicht, um mir ein Bild der heutigen Jugend zu machen. Und dieses Bild zeigt mir, dass Kultur bei der Generation Web 2.0 tatsächlich zunehmend in den Hintergrund rückt, beziehungsweise ersetzt wird durch Soziale Medien.

Literatur als Beispiel

Zur Kultur gehört natürlich noch viel mehr als die Literatur, aber da ich mich in diesem Bereich am besten auskenne, möchte ich sie als Beispiel nehmen.
Ich besuche mittlerweile die elfte Jahrgangsstufe eines Gymnasiums und eines meiner Leistungsfächer ist mein Lieblingsfach Deutsch. Als zu Beginn des Schuljahres unsere neue Lehrerin aus Interesse jeden fragte, warum er das Fach Deutsch gewählt habe, ergab sich ein erschreckendes Bild: So ziemlich jeder antwortete, dass er Deutsch als einfach empfinde und es nur gewählt habe, weil die Kombinationen nichts anderes zuließen. Es will schon etwas heißen, wenn jemand seit der Unterstufe freiwillig kein Buch mehr gelesen hat und im Deutsch-Leistungskurs sitzt! Natürlich könnte man jetzt erst einmal die Frage stellen, was solche Leute noch in der Oberstufe suchen, die Fächer nicht nach Interesse wählen, sondern nach der persönlichen Einschätzung, wie leicht es sei, aber das soll nicht das Thema dieses Textes sein.
Bestandsaufnahme nach fast einem Schuljahr: Der Großteil des Kurses hört nicht zu und stellt dann schon längst beantwortete Fragen, liest Lektüren nicht zu Ende und von Freude, Spaß und Interesse fehlt ohnehin jede Spur.

Schuld?

Eine Studie der Stiftung Lesen im Jahr 2010 ergab, dass fünfundzwanzig Prozent der Befragten keine Bücher lesen. Und nur noch jeder Vierte liest im Jahr zwischen elf und fünfzig Büchern. Warum verhält es sich so? Ganz einfach: Die Jugendlichen haben keine Lust auf den verstaubt wirkenden Unterricht, die alte Sprache und Bücher, die bis ins kleinste Detail analysiert werden müssen. Man muss sich nicht darüber wundern, wenn Kulturgüter als langweilig empfunden werden und Interpretationen aus dem Internet abgeschrieben werden. Dennoch wäre es nicht gerecht, sämtliche Jugendliche als Banausen abzustempeln, die nicht anderes interessiert als Partys und Freunde, denn ihre Reaktion ist durchaus nachvollziehbar. Lieber sollte man fragen, was man besser machen könnte.

Kritikpunkt Unterricht

Die Schule ist der erste Ort, an dem man mit Kultur in Kontakt kommt. Oft scheitert es dort jedoch schon am Unterricht.
In der „Studie zur Entwicklung von Lesemotivation bei Grundschülern“ im Auftragt der Universität Erfurt 2001 kam heraus, dass bereits bei Grundschülern das Leseinteresse abnimmt. Die Professorin Karin Richter sprach davon, dass „der Deutschunterricht wenig Folgen für den Aufbau einer Lesemotivation hat, weil die Literaturauswahl und die Art der Literaturbehandlung an den Interessen junger Menschen vorbeigehen.“
Um Interesse zu wecken, müsste man ihn anders gestalten. Ein Beispiel: Das Theater wird heute belächelt und ist fast vollständig vom Kino verdrängt. Wie soll sich daran auch je etwas ändern, wenn man mit Schülern vielleicht einmal im Jahr das Schauspielhaus aufsucht und sich damit nicht einmal richtig beschäftigt? In der zehnten Klasse haben wir im Theater Andorra von Max Frisch gesehen. Ein schönes Stück mit politischem Hintergrund, aber wie sollen Jugendliche etwas davon behalten können, wenn man vorher und nachher nichts zu dem Thema und dem Autor behandelt?
Ein weiteres Beispiel: Es ist begrüßenswert, dass viele Schulen Bibliotheken haben, nur dann sollte sich mehr um sie gekümmert oder auch als Teil in den Unterricht eingebaut werden. Oft mögen es Lehrer nicht, wenn bei Präsentationen als Literaturangaben Wikipedia beziehungsweise überhaupt Internetlinks auftauchen. So gäbe es die Gelegenheit, Unterricht und Literatur zu verbinden. Auch Buchvorstellungen gibt es ab einer bestimmten Jahrgangsstufe nicht mehr. Meist sind es die jüngeren Schüler, die dazu noch verpflichtet werden. Diese werden ebenfalls besonders häufig dazu gezwungen, Gedichte auswendig zu lernen. Dabei ist das sicher nicht der richtige Weg, ihnen Lyrik näherzubringen. Durch das stupide In-den-Kopf-Hämmern gerät der Inhalt nämlich eher in den Hintergrund und das Gedicht schneller wieder aus dem Kopf, als es hereinkam.

Literaturkanon

Ein weiterer Punkt betrifft den so genannten Schulkanon. Das sind bestimmte Bücher, die Kurse gelesen haben müssen. Die Schüler suchen sich also nicht selbst aus, was sie interessiert und lesen möchten, sondern ihnen wird artgerecht ein Werk serviert. Hier fällt mir unter anderem Goethes Faust ein, der an meiner Schule in der zwölften Klasse gelesen wird. Dieses Werk ist wahrlich ein Meisterwerk der Literaturgeschichte, aber wenn jeder Kurs ein halbes Jahr lang nichts anderes macht, als Szenen und Aussagen auf die eigenartigsten Weisen zu interpretieren und zu vergleichen – wer kann es einem verdenken, dass die Jugendlichen am Ende das Werk müde belächeln? Sicher ist es wichtig, dass Jugendliche die wichtigen Bücher der Literaturgeschichte kennenlernen, aber müssen es dann immer die gleichen sein? Weiß überhaupt jemand, dass Schiller auch noch andere Werke geschrieben hat außer Die Bürgschaft oder Maria Stuart? Dass Heine neben seinen vielen Gedichten auch politisch für Aufruhr gesorgt hat?
Zumal Autoren entweder nicht richtig behandelt werden oder als unerreichbare Personen mystifiziert und idealisiert werden. Bei den zwei Lektüren in meinem elften Schuljahr wurde der Autor jeweils mit einem kurzen, vielleicht nicht einmal korrekten Vortrag abgekanzelt. Wie soll man sich denn so ein Bild von der Person, den Umständen und den jeweiligen Werken machen?
Zum zweiten Punkt fällt mir sofort ein, dass besonders Goethe sehr oft als Genius oder Dichterfürst bezeichnet wird. Dass er eigentlich auch nur ein Mensch war, der um Konkurrenz bangte und in Abhängigkeit eines Fürsten lebte, steht völlig außen vor. Und genauso kommt es bei den Jugendlichen an: ein veralteter Schriftsteller, der lange vor unserer Zeit gelebt hat und sich nun auf zahlreichen Denkmälern und Kalenderblättern, die verfremdete, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate enthalten, wiederfindet, hat ein sehr wichtiges Werk geschrieben, mit dem man sich beschäftigen muss.

Unterrichtsausfall

Das Wort Lehrermangel hört man immer wieder. Es stehen nicht genug Lehrer zur Verfügung, weshalb oft Fächer ersatzlos gestrichen werden. Bei mir gab es von der siebten Klasse an mindestens ein Fach, das gar nicht oder nur ein Halbjahr Unterricht wurde, allein das Fach Erdkunde hatte ich nur in der achten und zehnten Jahrgangsstufe. Leider musste ich auch die Erfahrung machen, dass vor allem die künstlerischen Fächer darunter litten. Das Fach Kunst hatte ich in der gesamten neunten Klasse und ein Halbjahr in der zehnten Klasse nicht und als dann plötzlich im zweiten Halbjahr auch Musik wegfiel, war von Kultur nichts mehr zu sehen. Im ersten Halbjahr der zehnten Klasse wurde unsere Musiklehrerin nach ca. drei Stunden krank, dass wir danach keinen Unterricht mehr hatten und mangels Noten die Musiknote vom letzten Zeugnis als Ersatz genommen werden musste.
Leider war auch in den stattfindenden Stunden wenig von Kultur zu finden. Statt Mozart Trommeln mit Geodreiecken, statt Romantik Köpfe von hinten malen.

Fazit

Natürlich wird es immer diejenigen geben, die keinen Spaß an Kultur finden, was völlig verständlich ist. Die heutige Generation in die Schublade “Kulturbanausen” einzuordnen, ohne dabei auf die vielfältigen Hintergründe einzugehen, ist meines Erachtens jedoch falsch.

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