Meine Leseeindrücke – William Faulkner: “Als ich im Sterben lag”

Soeben habe ich seit längerer Zeit wieder einen Roman beendet: William Faulkners 1930 erschienenes Werk „Als ich im Sterben lag“ (im Original: „As I Lay Dying”), welches schon geraume Zeit auf meiner Leseliste stand. Ich wusste bereits, dass es darum geht, dass jemand stirbt und beerdigt werden soll. Meine Vorstellungen waren allerdings etwas anders (im Kopf hatte ich so eine Art Prozession wie bei einer Jazz-Beerdigung, die ich mal während der Schulzeit in einem Film gesehen habe). Als ich die letzte Seite las, verwundert zurückblätterte, noch einmal die letzte Seite las und das Buch schließlich schloss, hat es mich wie seit langem nicht mehr animiert, meine Eindrücke festzuhalten, weil mich das Gelesene beschäftigte.

Anders als sonst erhebt dieser Beitrag nicht den Anspruch, eine kritische Analyse oder Buchvorstellung zu sein (wenngleich dieser Klassiker der US-amerikanischen Literatur nur zu empfehlen ist), sondern ist ein reiner Leseeindruck, der den ein oder anderen Spoiler enthält.

„Als ich im Sterben lag“ spielt zeitlich ungefähr nach den Amerikanischen Bürgerkriegen im fiktiven Yoknapatawpha County, das Faulkner in den meisten seiner Werke als Schauplatz verwendete. Dort lebt die siebenköpfige arme Farmerfamilie Bundren rund um das Familienoberhaupt Anse Bundren. Dessen Frau Addie liegt im Sterben – darum drehen sich etwa die ersten fünfzig Seiten, d. h. 1/5 des Buches – und verfügt, nach ihrem Tod in ihrer Heimatstadt Jefferson, Missouri beerdigt zu werden. Die Familie folgt ihrem Wunsch, der sich als mühsamer erweist als gedacht: Kurz nach ihrem Tod ereignet sich ein heftiger Regenfall, der sämtliche Brücken nach Jefferson einstürzen lässt. Bei der Überquerung eines Flusses gehen der Wagen der Familie und der Sarg fast verloren und in einer späteren Unterkunft fängt der Stall, in der der Sarg untergebracht ist, Flammen. Nach neun Tagen Fahrt – in der Julihitze beginnt der Sarg inzwischen unangenehm zu riechen – kommt die Familie endlich an. Die eigentliche Beerdigung wird dann in zwei leicht überlesbaren Sätzen geschildert. Das Buch endet damit, dass Anse Bundren sein sehnlichst gewünschtes neues Gebiss sowie (s)eine neue Frau präsentiert.

Die Besonderheit des Romans liegt in seinem formalen Aufbau: Jedes Kapitel wird aus der Ich- Perspektive einer anderen Person erzählt. In 59 Kapiteln kommen so insgesamt 15 verschiedene Figuren zu Wort, darunter alle Familienmitglieder, Freunde und Bekannte der Familie, aber auch Außenstehende (z. B. ein Verkäufer). Die Kapitel knüpfen nicht immer nahtlos aneinander an, sondern springen oftmals in der Zeit vor oder zurück und wiederholen bereits bekannte Informationen aus jeweils einer anderen Sicht.

Einen einordnenden, bewertenden Erzählerkommentar gibt es nicht; wir bekommen lediglich das individuelle – bisweilen auch unzuverlässigeFühlen und Denken der Figuren geschildert, das sich gerne inneren Monologen und Bewusstseinsströmen bedient.
Faulkner geht mit dieser Technik meisterhaft um: Durch den Fokus auf bestimmte Figuren (und in manchen Fällen auch Nicht-Fokus) sowie das andeutungsweise Enthüllen von Informationen, gelingt es, jene in einem bestimmten Licht erscheinen zu lassen.

Über die Verstorbene Addie Bundren, von der man, während sie im Sterben liegt, so gut wie nichts erfährt (sie selbst spricht auch nicht), wird im Verlauf des Romans in einem von ihr selbst erzählten Kapitel enthüllt, dass sie eine Affäre mit einem Geistlichen hatte, der ihr Sohn Jewel entstammt. Ihr ältester Sohn Cash (der, wie man aus diversen Angaben schließen kann, Ende 20 sein muss) ist Tischler und stellt den Sarg für die Mutter her. Bis zu deren Tod tritt er praktisch nur durch die Geräusche seiner Säge in Erscheinung und redet kaum, was ihm eine mysteriöse Ausstrahlung verleiht. Auf der Fahrt wiederum fällt er vor allem wegen seiner großen Fürsorge für den Sarg auf – seine ersten drei Kapitel beschäftigen sich allesamt mit dem Sarg, der nicht im Gleichgewicht sei. Erst gegen Ende des Buches werden seine Kapitel länger und tiefgreifender. Er übernimmt die Quasi-Erzählerrolle, die Darl vorher innehatte.
Darl, der zweitälteste Sohn der Familie, war mir die sympathischste Figur, wahrscheinlich auch deshalb, weil er mit 19 von 59 Kapiteln den größten Erzählanteil hat. Es gehört wohl zur Tragikkomik des Buches, dass ausgerechnet die vernünftigste Figur wenig später als Verrückter eingeliefert wird, da er die Hütte mit dem Sarg in Brand steckt (übrigens ohne, dass ein Grund dafür genannt wird). Eine Entwicklung zum Verrücktsein findet bei ihm indes nicht statt. Zwar wird in verschiedenen Aussagen zum Ausdruck gebracht, dass die Leute ihn für merkwürdig halten – allerdings half er beim Brand der Hütte sogar noch mit, die Tiere zu befreien, und kurz vor seiner Festnahme bewahrte er seinen Bruder vor einer gewalttätigen Auseinandersetzung.
Der drittälteste Sohn Jewel ist der dickköpfige Draufgänger der Familie mit einem ambivalenten Verhältnis zu ihr: Seine Eltern scheint er zu hassen und seine Geschwister die meiste Zeit auch, trotzdem beteiligt er sich an der Sarg-Aktion und rettet diesen aus dem Feuer; ebenso die Werkzeuge Cashs, die in den Fluss fallen. Aus seiner Sicht wird nur ein einziges Kapitel am Anfang des Buches geschildert; seine Figur bleibt den Roman über relativ vage.
Der jüngste Sohn Vardaman (vermutlich jünger als 10), erscheint offenkundig traumatisiert, da er seine Mutter für einen Fisch hält – eine Äußerung, die er ständig wiederholt -, nachdem er kurz vor dem Tod seiner Mutter einen Fisch erledigen musste.
Die siebzehnjährige Dewey Dell ist die einzige Tochter der Familie, die insgeheim von einer Affäre schwanger ist und eine Abtreibung vornehmen lassen möchte. Auch dieses Geheimnis wird erst im Laufe der Handlung enthüllt.
Vater Anse geht als der einziger „Gewinner“ aus der Handlung hervor: Unterwegs erschleicht er sich Gratisleistungen, nimmt am Ende das Geld seiner Tochter für die Abtreibung für seine neuen Zähne ab und präsentiert eine neue Frau. Zudem haben alle Anstrengungen (inkl. Verletzungen) während der Reise seine Kinder unternommen, für die der Sargtransport zur Horrorfahrt gerät: Dewey Dell wird von einem Arzt missbraucht, Darl ist verrückt geworden, Jewel verliert sein geliebtes Pferd und Cash seinen Fuß (der bereits verkrüppelt war, während der Reise erneut gebrochen ist und dann mit Zement eingegipst wurde). Addie Bundren ist da schon längst vergessen.

Die einzelnen Handlungselemente in Kombination mit der spezifischen Darstellungsart des Romans sorgen dafür, dass man sich nie ganz sicher ist, ob die Aussage einer Person stimmt, ob sie nicht etwas zu verbergen scheint und in welchem Geisteszustand sie sich befindet. Auch wenn das Ende überraschend kam und einige meiner Fragen offen geblieben sind – „Als ich im Sterben lag“ ist zu Recht ein Klassiker der Weltliteratur geworden.




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