Über Weihnachten und Weihnachtsstimmung
Vor einiger Zeit hat hier in Deutschland ein Werbespot von Edeka Wellen geschlagen, in dem ein älterer Mann seinen Tod vortäuscht, um die Aufmerksamkeit der Verwandten zu erreichen und mit ihnen Weihnachten feiern zu können. Selbst wenn man sich fragen kann, wo im Spot selbst der Werbeffekt für Edeka liegt, hat die Supermarktkette damit breite Aufmerksamkeit erregt (Rewe hat übrigens später mit einem ähnlichen Spot nachgelegt). Ich persönlich finde den Spot ziemlich traurig und kann ihm mir nicht mehrmals ansehen. Genau das ist aber der Effekt. Der Spot soll gezielt die Emotionen hervorrufen. Im Kern sagt er nämlich aus, dass Weihnachten erst dadurch zum Ereignis wird, dass die ganze Familie daran teilnimmt, und man nicht allein zuhause sitzt.
Tatsächlich ist mir dieses Jahr zum ersten Mal deutlich geworden, dass ein solches Weihnachtsfest mit Familie, Geschenken und Essen, wie es im Spot als Ideal propagiert wird, gar nicht so häufig ist wie ich dachte. Eine gute Uni-Freundin von mir wohnt zwar noch im Haus der Eltern (wenn auch in einer eigenen Wohnung), ist ansonsten aber relativ selbstständig. Für sie ist Weihnachten ein ganz normaler Tag, am 24. Dezember muss sie sogar arbeiten. Bei ihr gibt es kein großes Weihnachtsfest; die Geschenke macht sie sich im Prinzip selbst.
Ich habe sie hier als konkretes Beispiel genannt, aber diese Art, Weihnachten zu verbringen, trifft genauso gut auf viele andere zu. Wenn man keine Familie hat bzw. niemanden, mit dem man feiert – wozu die Mühe eines Weihnachtsbaums oder einer großen Mahlzeit?
Heißt das dann auch automatisch, dass solche Leute keine Weihnachtsstimmung empfinden?
Jedes Jahr treffe ich mindestens eine Person, die sagt, dass sie (nicht) in Weihnachtsstimmung sei. Aber was ist das genau, diese Weihnachtsstimmung? Und gibt es auch eine Geburtstags-, Halloween- oder Osterstimmung?
Das eigentliche Weihnachtsfest beschränkt sich auf den 24./25./26. Dezember, aber die Weihnachtszeit beginnt ja eigentlich schon mit dem 1. Advent und dem Öffnen der Weihnachtsmärkte. Jemand, der Ostern nicht im kirchlichen Sinne begeht, wird hingegen nicht schon einen Monat vorher darauf hinfiebern. Gleichzeitig wird nichts so kommerziell ausgeschlachtet wie Weihnachten (was man ja daran sehen kann, dass es schon im Herbst Nikoläuse zu kaufen gibt), kein anderes Fest hat – und ich beziehe mich hier auf den weltlichen Aspekt – so eine große Bedeutung wie Weihnachten.
Wenn Weihnachtsstimmung bedeutet, sich auf Weihnachten zu freuen, dann bin ich jedes Jahr in Weihnachtsstimmung. Mein Zimmer ist bereits seit Anfang Dezember geschmückt, was ich jedes Jahr mit Freude tue. Trotzdem habe ich inzwischen eine andere Einstellung zu Weihnachten, was vermutlich daran liegt, dass ich nicht mehr mit kindlicher Verklärung an Weihnachten denke.
Weihnachten ist für mich inhaltlich her nichts ist, was ich nur einmal im Jahr habe (mal von der Deko usw. abgesehen). Das, was ich an Weihnachten esse, esse ich auch zu anderen Gelegenheiten (gilt auch für das Plätzchen backen) und die Geschenke sind “nichts Besonderes” mehr, weil ich mir sie explizit gewünscht habe oder theoretisch auch selbst kaufen kann.
Das Geheimnisvolle ist weg.
Man trifft sich, isst, reißt die Geschenke auf und man trennt sich wieder – wenn man es darauf herunterbrechen will. Der Nikolaustag beschränkt sich sogar nur auf das Verteilen von (kleinen) Geschenken. Trotz der langen Weihnachtszeit sind die Weihnachtstage an sich also sehr vergängliche Momente.
“Vorfreude ist die schönste Freude”. Auch wenn dieser Spruch in jedem Buch über Sprichwörter zu finden ist, enthält er doch sehr viel Wahrheit. Wenn ich am Weihnachten ein Geschenk auspacke, ist die Freude natürlich am größten (meistens zumindest). Dasselbe gilt aber auch für die Fallhöhe der Freude. Wenn nämlich das Geschenk ausgepackt ist, verschwindet sie allmählich, unabhängig davon, ob man dieses Geschenk jetzt jeden Tag verwendet oder es als Dekoration ins Wohnzimmer stellt.
Für die Vorfreude gibt es aber im Normalfall keine Fallhöhe, sie steigt immer weiter an.
Ein Adventskalender besteht aus 24 Türchen – klar, für jeden Tag bis Weihnachten eines. Doch gleichzeitig markiert jeder Tag einen Schritt zum Höhepunkt. Der einzelne Tag wird dabei für uns unwichtig. Dabei gilt es meiner Meinung nach – in der Weihnachtzeit wie auch sonst im Leben –, jeden Tag zu genießen und auch die kleinen Gesten und Taten wertzuschätzen. Früher habe ich nie verstanden, wie man etwas wirklich genießen kann, wenn es sowieso vorbeigeht. Genau das ist aber bereits der falsche Ansatz. Nach vielen eindringlichen Lateinstunden mit antiken Philosophen
bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, dass man etwas dann genießt, wenn man nicht daran denkt, wann es vorbei ist. Natürlich hat alles ein Ende; doch der Gedanke an die Vergänglichkeit nimmt mir doch zugleich jede Freude an etwas.
Vielleicht sollten wir also alle weniger an das Ende (Weihnachten) denken, sondern jeden Tag dorthin wertschätzen, um nicht, wenn es so weit ist, in Wehmut sagen zu müssen: „Wie schnell alles wieder vorbei ging!“