Kleine mittelhochdeutsche Reihe: Artusroman

Neben der Lyrik, die ich bereits in mehreren Artikeln vorgestellt habe (vgl. Minnesang, Sangspruchdichtung, Leich), gilt die Epik als zweite große Literaturgattung in der Zeit um 1200.
In zwei Artikeln habe ich die zwei wichtigsten epischen Formen der weltlichen Literatur jener Epoche vorgestellt: die höfische Epik (speziell den höfischen Roman) auf der einen Seite und die Heldenepik auf der anderen.

Heute möchte ich eine der Stofftraditionen der höfischen Epik näher vorstellen, nämlich die Artusepik bzw. den Artusroman.

Als erster deutscher Artusroman gilt Hartmanns Erec (um 1180/90), der wiederum auf Chrétien de Troyes Erec et Enide (um 1160) beruht.

Seinen Namen erhält die Gattung von König Artus (engl. King Arthur), einer Sagengestalt aus Britannien zur Zeit der Völkerwanderung (um 500). Tatsächlich ist Artus jedoch nie der Protagonist jener Romane; im Zentrum steht stets ein junger Adliger, der entweder bereits ein schöner, tugendhafter und formvollendeter Artusritter ist oder noch zum Ritter ausgebildet wird, eine Frau gewinnt und zahlreiche Âventiuren (Kämpfe, Begegnungen und weitere Abenteuer) als Bewährungsproben besteht.

In den klassischen Artusromanen macht sich der Held im Verlauf der Handlung stets eines Vergehens schuldig und muss sich durch das Bestehen von Âventiuren als würdiger Artusritter, Herrscher und Ehemann beweisen, um am Ende endgültig als perfekter Ritter zu erscheinen. Strukturell spricht man von einer “Doppelwegstruktur”: Der Aufbau der Romane besticht durch Spiegelungen, Entsprechungen und Steigerungen von in sich abgeschlossenen Episoden. Statt kausalen Handlungsmotivationen herrschen finale Handlungsmotivationen vor, d. h. die Handlung ist nur vom Ende her logisch.
In den nachklassischen Artusromanen (ab ca. 1220) gibt es das Vergehen und die Krise des Helden nicht mehr. Die Handlung ist linear und noch episodischer, die Helden von Anfang an ideal, Konflikte werden nicht mehr nur durch Kraft gelöst, sondern auch durch Klugheit und List. Nachklassische Artusromane basieren zudem nicht mehr auf unmittelbaren Vorlagen. Sie vermischen Elemente aus der Mythologie und Motive aus verschiedenen Gattungen und Epochen

Zwar ist Artus nicht selbst Protagonist, er ist aber immer im Hintergrund der Handlung präsent, ebenso wie der Artushof, der eine zentrale Stellung (auch strukturell) in allen Artusromanen einnimmt.

Die beiden bekanntesten klassischen Artusromane sind der bereits erwähnte Erec sowie Iwein (um 1200) ebenfalls von Hartmann von Aue. Auch Wolframs von Eschenbach Parzival (zw. 1210-1220) gehört thematisch zur Gattung dazu, wenngleich dort der Gral und Parzivals Bestimmung zum Gralskönig im Vordergrund stehen und der Roman daher oft als Gralsroman spezifiziert wird. Auch der Lanzelet Ulrichs von Zatzikhoven (um 1200) zählt zu den Artusromanen.

Die nachklassischen Artusromane galten (oft zu Unrecht) lange als eine Art “schlechte Kopie” der klassischen Artusromane. Zu den bekanntesten zählen der Wigalois Wirnts von Grafenberg (zw. 1210-1220), Diu Crône Heinrichs von dem Türlin (um 1230) und Strickers Daniel von dem Blühenden Tal (1. Hälfte 13. Jhd.)

Literaturliste

Achnitz, Wolfgang: Einführung in die deutschsprachige Artusdichtung des Mittelalters. Berlin 2012.

Cormeau, Christoph: Hartmann von Aue. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 2. Ausgabe, Bd. 3. Hrsg. von Kurt Ruh. Berlin 1981, Sp. 500–520.

Wolf, Jürgen: Einführung in das Werk Hartmanns von Aue. Darmstadt 2007 (= Einführungen Germanistik).

Bildnachweis: Ausschnitt aus der Miniatur „Kaiser Heinrich“. Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse).
Heidelberg, Universitätsbibliothek, cpg 848, 6r. 1. Hälfte 14. Jhd., Zürich.

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