Kleine mittelhochdeutsche Reihe: Heldenepik

Neben der Lyrik, die ich bereits in mehreren Artikeln vorgestellt habe (vgl. Minnesang, Sangspruchdichtung, Leich), gilt die Epik als zweite große Literaturgattung in der Zeit um 1200. 

In zwei Artikeln möchte ich die zwei wichtigsten epischen Formen der weltlichen Literatur vorstellen: die höfische Epik (speziell den höfischen Roman) auf der einen Seite und die Heldenepik auf der anderen. Heute spreche ich über die Heldenepik.

Die Heldenepik gehört zum Bereich der Heldendichtung und entstammt der germanischen Erzähltradition. Als deren früheste Form entstand in der Zeit des Frühmittelalters das Heldenlied. Im deutschsprachigen Raum ist einzig das Hildebrandslied aus dem 9. Jhd. textlich überliefert. Zugleich ist es das älteste überlieferte germanische Heldenlied.

Anders als höfische Epen handelt es sich bei Heldenepen um Verschriftlichungen von mündlich tradierten Erzählungen. Heldenepen wurden von fahrenden Sängern an Höfen vorgetragen und normalerweise nicht niedergeschrieben. Die Autoren der Heldenepen sind uns namentlich nicht bekannt, was weniger mit einer schlechten Überlieferung zusammenhängt als mit der Tatsache, dass jene bewusst anonym bleiben wollten, da sie sich lediglich als “Verschriftlicher” verstanden, nicht als Bearbeiter/Übersetzer im Sinne eines Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbachs etc.

Stofflich greifen Heldenepen auf Sagen aus der Zeit der Völkerwanderung (um 500) zurück. Ihre poetischen Prinzipien lassen sich im Wesentlichen in drei Punkten zusammenfassen:
1. Literarisierung historischer Begebenheiten: In Heldenepen steckt ein wahrer Kern in Form von Figuren und Handlungen, die sich aus historischen Personen und Handlungen speisen. Der Held des Nibelungenlieds, Siegfried, etwa, enthält Anteile des fränkischen Königs Chlodwig I (466-511), welcher 501 eine Chrothechildis geheiratet hat, deren Namen an Siegfrieds Frau Kriemhild erinnert. Namenspaten für Siegfried könnten Chlodwigs Engel Sigibert, der Burgunderkönig Sigismund und der fränkische Herrscher Sigibert sein, der wie die Figur Siegfried bei der Jagd umgebracht wird. Eingebaut wurden ebenfalls die Zerschlagung Burgunderreich bei Worms um 436 mit hunnischen Hilfstruppen als Untergang der Nibelungen, die Hochzeit Attila (Etzel im Nibelungenlied) mit einer germanischen Fürstentochter 453 sowie der Streit der Merowinger Brunichild und Fredegunde als Streit zwischen Brünhild und Kriemhild.
2. Vereinfachung/Reduktion (von komplizierten Thematiken): Kriegerische Auseinandersetzungen, Erbstreitigkeiten etc., die in der Realität oft nicht leicht zu durchschauen sind, werden literarisch gekürzt und vereinfacht.
3. Koordination (Personen verschiedener Epochen werden in einem „Heldenzeitalter“ vereint): Die historischen Vorbilder der Helden lebten alle zu unterschiedlichen Zeiten: Alle möglichen Vorbilder für Siegfried agierten nach 500, Attila starb jedoch bereits 453. Theoderich der Große, Vorbild für Dietrich von Bern im Hildebrandslied, im Nibelungenlied und der Dietrichepik wiederum starb 526. In den Heldenepen werden diese Figuren jedoch in einer Zeitebene vereint.

Im Unterschied zur höfischen Epik sind Heldenepen meistens in Strophenform verfasst. 

Das um 1200 entstandene Nibelungenlied, welches Stoffe aus der Nibelungensage aufgreift, ist sicherlich das bekannteste mittelhochdeutsche Heldenepos. Dazu kommen die Kudrun (um 1230/40) sowie die Dietrichepik, zu denen eine Reihe von Epen mit Dietrich von Bern als Helden gehören, die auch über das Mittelalter hinaus entstanden und große Verbreitung fanden.

Siehe auch: Epochenüberblick 1: Das Mittelalter (500 bis 1500) – Heldenepos und Minnesang 

Literatur

Lienert, Elisabeth: Mittelhochdeutsche Heldenepik. Eine Einführung. Berlin 2015 (= Grundlagen der Germanistik, Bd. 58), S. 14-18.
Millet, Victor: Germanische Heldendichtung im Mittelalter. Berlin, Boston 2008.

Bildnachweis: Ausschnitt aus der Miniatur „Der Püller“. Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse).
Heidelberg, Universitätsbibliothek, cpg 848, 253r. 1. Hälfte 14. Jhd., Zürich.

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